Donnerstag, 8. Februar 2018

Harald Welzer und die Autonomie - Teil 3


Harald Welzer ist seit 2012 Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg. In einem Beitrag für den Südwestfunk erläutert Welzer Geschichte und Gegenwart der Kategorie "Autonomie".



Datenhungrig: NSA
Heutzutage sind es vor allem sehr mächtige und sehr datenhungrige Konzerne und Geheimdienste, allen voran die amerikanische NSA, die buchstäblich alles sammeln, was Bürger durch ihre Kommunikationen, aber vor allem durch ihren Konsum, ihre sozialen Netzwerke und ihre Bewegung im Raum an Daten liefert.

Dabei trifft die propagandistische Rhetorik, dass es diesen Unter-nehmen dabei vor allem um die Erhöhung von Komfort, Klima- und Umweltschutz sowie Gesundheit ginge, auf „ein großes gesellschaftliches Bereitschaftspotential. Die Versprechen, dass das `Internet der Dinge´ Häuser energieeffizient und klimafreundlich oder die Armbänder und Uhren zur Überwachung von Körperfunktionen die Menschen gesünder machten, scheinen ja zunächst freundlich und harmlos. Zumal sie mit einer Komfortsteigerung einhergehen und den Menschen allerlei lästige Alltagsdinge abnehmen.“

Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: „Nest (...), ein Unternehmen, das Thermostate entwickelt und für 3,2 Milliarden Dollar von Google gekauft wurde, arbeitet intensiv an einem Smart Home, in dem die einzelnen technischen Elemente des Hauses miteinander kommunizieren, die Gewohnheiten der Bewohner `lernen´ und die Gerätefunktionen daran anpassen. Der Kühlschrank weiß dann, wann die Milch voraussichtlich verbraucht sein wird und gibt automatisch die Bestellung für neue auf, während Heizung und Klimaanlage die Informationen der Wettervorhersage mit den Anwesenheitszeiten der Hausbewohner und ihren Gesundheitsdaten verbinden und die Raumtemperatur entsprechend regulieren.

Mittlerweile greifen Smart Homes, Cars und Watches direkt auf die private Existenz zu ...
Google Now, ein Programm für Smartphones, überwacht den Aufenthaltsort der Bewohner permanent und übermittelt die Daten ans smarte Zuhause, das die Jalousien also länger geschlossen hält, wenn der Hausherr nach der Arbeit noch auf einen Sprung ins Bordell geht.

Vermeintlich dient der Aufwand vor allem dazu, Strom zu sparen. `Das sei,´ so ein Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, `schon das Ziel des Thermostats gewesen, das im Netz die Wettervorhersage kontrollieren und die Raumtemperatur nach den Außenbedingungen regeln kann. Mit der Vernetzung der Dinge reiche das 'Bewusstsein' des Temperaturreglers noch weiter. Nest arbeitet jetzt zum Beispiel mit Mercedes zusammen und lässt deren Autos direkt mit der Heizung kommunizieren. So kann der Wagen melden, dass man wegfährt, dass nicht mehr geheizt werden muss, und angeben, wann man sich dem Haus wieder nähert. Die Geräte sind so programmiert, dass sie aufzeichnen und auswerten, wer sie wie, wann und wo benutzt.´

Man könnte sagen: Nachdem sich über die vergangenen Jahrzehnte die Möglichkeiten der Überwachung der öffentlichen Existenz der Menschen mittels Kameras, Telefondaten, Kontobewegungen, Social Networks etc. stetig erweitert haben, greifen Smart Homes, Cars und Watches nun direkt auf die private Existenz zu.“

Auf der Beschreibungsebene kann man Welzer zufolge daher „von einer technisierten Erhöhung des Selbstzwangniveaus sprechen. Gerade da, wo der `Geist stark, aber das Fleisch schwach´ ist, wie etwa bei selbstschädigendem Konsum von Alkohol, unterstützt die digitale Kontrolle die Durchsetzung des Selbstzwangs. Ein besonders bemerkenswertes Moment dieser Erhöhung des Selbstzwangniveaus liegt in der begleitenden Veränderung von Sozialverhält-nisses, die als normal und erwartbar betrachtet werden: 

Wenn die meisten Menschen in Smart Homes leben, ihren Körperstatus kontrollieren und ihre Konsumbedürfnisse befriedigen lassen, bevor sie selbst wissen, dass sie sie schon haben – was ist dann mit denen, die das nicht machen? Gelten `Smartness´-Verweigerer als Klima- und Umweltfeinde und um ihre Gesundheit datenmäßig Unbekümmerte als asozial?“

Die verblüffende Bereitschaft, die Unterminierung des Privaten zuzulassen, „wird durch ein argumentatives Quartett befördert, das Komfort, Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz ins Feld führt und damit exakt die Bedürfnisse, die auf der Skala der Bewohnerinnen und Bewohner reicher Gesellschaften weit oben rangieren. Dabei nimmt das Maß an Fremdsteuerung zu und Autonomie im selben Umfang ab.“

Wiedergewinnung eigener
Urteilsfähigkeit ...
Diese vermeintliche Komforterhöhung durch Apps und Kontrollprogramme, die unablässig Daten liefern, entmündigen letztlich diejenigen, die sie so bereitwillig nutzen: „Die eigene Urteilsfähigkeit wird durch den Blick auf den Bildschirm ersetzt, Informationen werden nicht mehr gesucht und angeeignet, sondern geliefert, nichts Zufälliges widerfährt dem modern Vernetzten noch. Sogar sein Schlaf wird überwacht und das aufmerksame Tracking-Armband weckt den Träumenden genau in dem Moment, wo es das Programm für richtig hält.“


(Fortsetzung folgt) 

Zitate aus: Harald Welzer: Autonomie gefordert! Über ein schwieriges Konzept der Demokratie Von Harald Welzer, SWR2 Wissen/Aula, Sendung vom 01. Mai 2017




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