Donnerstag, 27. März 2014

John Stuart Mill und die Nützlichkeit

John Stuart Mill (1806 - 1873)
John Stuart Mill war einer der einflussreichsten und vielseitigsten Philosophen des 19. Jahrhunderts. Als engagierter Bürgerrechtler und Publizist im viktorianischen England setzte er sich u.a. für ein allgemeines Bildungs- und Erziehungssystem ein, das auf Freiheit, Individualität, eigenständigem Denken und Kritikfreudigkeit beruht. Weiter setzte er sich in seiner Schrift „Über die Freiheit“ für die Frauenemanzipation und das Frauenwahlrecht ein. Aber Mill machte sich auch als Wirtschaftstheoretiker und Historiker einen Namen.

Mill gilt als Mitbegründer mehrer bedeutender Richtungen in der modernen Philosophie. Als Positivist strebte er nch einem streng  wissenschaftlichen Weltbild und verlangte daher, dass alles menschliche wissen sich durch das den Sinnen unmittelbar Gegebene (eben das „Positive“) begründen lassen muss. Als einer der Väter des modernen Liberalismus sah er die Hauptaufgabe des Staates im Schutz der individuellen Freiheit. In der Geschichte der philosophischen Ethik gilt Mill neben Jeremy Bentham als Vertreter des klassischen Utilitarismus.

In seiner Schrift „Utilitarismus“ entwirft Mill nicht nur eine ethische Theorie, die die Aufgabe der Moral dahingehend beschreibt, das Glück der Gemeinschaft, d.h. das Allgemeinwohl zu befördern, sondern er beschäftigt sich auch mit den Einwänden, die gegen das Nützlichkeitsprinzip in der Ethik vorgebracht wurden (und z.T. auch noch werden).

Mill definiert zunächst das ethische Prinzip des Utilitarismus wie folgt: „Die Auffassung, für die die Nützlichkeit oder das Prinzip des größten Glücks die Grundlage der Moral ist, besagt, dass Handlungen insoweit und in dem Maße moralisch richtig sind, als sie die Tendenz haben, Glück zu befördern, und insoweit moralisch falsch, als sie die Tendenz haben, das Gegenteil von Glück zu bewirken. Unter `Glück´ ist dabei Lust (pleasure) und das Freisein von Unlust (pain), unter `Unglück´ Unlust und das Fehlen von Lust verstanden.“

Mill gibt zu, dass natürlich nun gesagt werden müsse, „was die Begriffe Lust und Unlust einschließen sollen“, gleichwohl änderten solche Erklärungen nichts an der Lebensauffassung, auf der die Theorie des Utilitarismus wesentlich beruht: „dass Lust und das Freisein von Unlust die einzigen Dinge sind, die als Endzwecke wünschenswert sind, und dass alle anderen wünschenswerten Dinge (die nach utilitaristischer Auffassung ebenso vielfältig sind wie nach jeder anderen) entweder deshalb wünschenswert sind, weil sie selbst lustvoll sind oder weil sie Mittel sind zur Beförderung von Lust und zur Vermeidung von Unlust.“

Mill ist sich bewusst, dass eine solche Lebensauffassung bei vielen Menschen – „darunter manchen, deren Fühlen und Trachten im höchsten Maße achtenswert ist“ – auf deutliche Kritik stößt. Der Gedanke also, dass das Leben „keinen höheren Zweck“ habe als die Lust oder „kein besseres und edleres Ziel des Wollens und Strebens“ erscheint manchem als „niedrig und gemein“, geradezu „als eine Ansicht, die nur der Schweine würdig wäre.“

Mit diesem Vorwurf habe sich auch schon Epikur – der Vertreter des antiken Hedonismus – auseinandersetzen müsse. Und schon dieser habe auf diese Vorwürfe stets geantwortet, dass nicht sie, sondern ihre Ankläger es sind, „die die menschliche Natur in entwürdigendem Lichte erscheinen lassen, da die Anklage ja unterstellt, dass Menschen keiner anderen Lust fähig sind als der, deren auch Schweine fähig sind.“



Natürlich sind den antiken Hedonisten bei der Ableitung von Konsequenzen aus dem utilitaristischen Prinzip Fehler unterlaufen – beispielsweise beim unbegrenzten positiven Hedonismus eines Aristippos. Daher müsse man am besten Kriterien der stoischen und christlichen Ethik mit in die Ableitung integrieren.

Grundsätzlich jedoch Mill verteidigt die Idee, dass die Menschen im Grundsatz höhere Fähigkeiten als bloß tierische Gelüste haben. Denn schließlich schreibe auch die epikureische Lebensauffassung „den Freuden des Verstandes, der Empfindung und Vorstellungskraft sowie des sittlichen Gefühles“ einen weit höheren Wert zu als denen der Sinnlichkeit.

Diese Höherwertigkeit der geistigen Freuden ist nicht nur in ihrer größeren Dauerhaftigkeit oder Verlässlichkeit erkennbar. „Die Anerkennung der Tatsache, dass einige Arten der Freude wünschenswerter und wertvoller sind als andere, ist mit dem Nützlichkeitsprinzip durchaus vereinbar. Es wäre unsinnig anzunehmen, dass der Wert einer Freude ausschließlich von der Quantität abhängen sollte, wo doch in der Wertbestimmung aller anderen Dinge neben der Quantität auch die Qualität Berücksichtigung findet.“

Glück – in der oben genannten Bedeutung von `pleasure´ – ist somit für Mill ein legitimes moralisches Gut, sowohl für jedes Individuum als auch für die Gemeinschaft: „Damit hat das Glück seinen Anspruch begründet, eines der Zwecke des Handelns und folglich eines der Kriterien der Moral zu sein.“

Die Gegner des Utilitarismus aber würden nun einwenden, dass es neben dem Glück auch noch weitere Zwecke des menschlichen Handelns gibt, etwa die Tugend oder das Freisein vom Laster.

Das hieße aber, so Mill, dass der Utilitarismus bestreiten würde, dass Menschen auch nach Tugend strebten oder dass er gar behaupten würde, dass Tugend nicht erstrebenswert sei. „Im Gegenteil. Er behauptet nicht nur, dass Tugend erstrebenswert ist, sondern dass sie uneigennützig, um ihrer selbst willen erstrebt werden sollte.“
 
Die Tugend
So setzten die Utilitaristen die Tugend nicht nur „an die Spitze der Dinge, die als Mittel zu jenem letzten Zweck gut sind“, sondern  sie „erkennen es auch als eine psychologische Tatsache an, dass sie für den Einzelnen ein an sich selbst und ohne äußeren Zweck wertvolles Gut werden kann.“ Weiter würden die Utilitaristen behaupten, „dass sich das menschliche Bewusstsein nicht im richtigen – dem Nützlichkeitsprinzip gemäßen, dem allgemeinen Glück am förderlichsten – Zustand befindet, wenn es die Tugend nicht in dieser Weise liebt – als etwas, das um seiner selbst willen erstrebenswert ist.“

Mill wehrt sich somit dagegen, Tugend und die Suche nach dem Glück gegeneinander auszuspielen, wie es die Kritiker des Utilitarismus tun würden. Der Grund dafür ist einfach: „Die Bestandteile des Glücks sind sehr verschiedenartig und jeder einzelne Bestandteil ist um seiner selbst willen erstrebenswert und nicht nur insofern, als sich die Gesamtsumme durch ihn erhöht (…) Sie sind nicht nur Mittel zum Zweck, sie sind auch Teile des Zwecks.“

So ist die Tugend nach utilitaristischer Auffassung nicht ursprünglich und von Natur aus Teil des Zwecks, aber sie kann dazu werden; „und bei denen, die die Tugend ohne eigennützige Motive lieben, ist sie dazu geworden und wird von ihnen nicht als Mittel zum Glück, sondern als Teil des Glücks erstrebt und geschätzt.“

Zitate aus: John Stuart Mill: Utilitarismus, in: Otfried Höffe: Einführung in die utilitaristische Ethik, München 1975 (C.H.Beck), S. 60ff

1 Kommentar:

  1. Lieber Paideia, ein schöner Artikel. Der Vater von John Stuart Mill, James Mill, war ein Freund und Schüler von Bentham. John Stuart Mill hat den Utilitarismus - eine pragmatische, englische Philosophie - auf ein sehr hohes Niveau gehoben. Sehr witzig ist auch das Bild mit den beiden Schweinen in der Badewanne und der berühmte Satz von John Stuart Mill: "Es ist besser ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedenes Schwein". John Stuart Mill war kein primitiver Hedonist, dessen Glückskonzept nur an materieller Befriedigung orientiert war. John Stuart Mill war übrigens auch ein Frauenrechtler, setzte sich für das Scheidungsrecht der Frauen ein (was im 19. Jahrhundert sehr radikal und ungewöhnlich war). Seine Freundin und spätere Ehefrau war die Feministin Harriet Taylor.

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