Sonntag, 29. April 2012

Friedrich August von Hayek und die Planwirtschaft

Im Jahre 1947 hält Friedrich August von Hayek im österreichischen Alpbach einen Vortrag mit dem Titel „Der Mensch in der Planwirtschaft.“ Auch wenn seitdem mehr als 60 Jahre vergangen sind, lohnt sich ein kurzer Blick auf den Vortrag, der gut Hayeks politische Moral vermittelt.

Friedrich August von Hayek (1899 - 1992)

Hayeks Kernthese lautet, dass geplante Wirtschaft und politische Demokratie unvereinbar sind. Wirtschaft, so sagt Hayek, ist kein selbstständiges Gebiet mit eigenen Zwecken, sondern die „Verwaltung der Mittel für alle unsere verschiedenen Zwecke, die in letzter Instanz nie selbst wirtschaftlich sein können.“

Die Vertreter der  Planwirtschaft müssen sich daher im Klaren sein, dass ihr Wirtschaftssystem zunächst ein „vollständiges Moralsystem“ voraussetzt und anschließend zu einer Kettenreaktion immer weiterer Eingriffe führe. Und dies allerdings bedingt eine entscheidende Begrenzung für die Demokratie.

In seinem Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ (1944) hatte Hayek diesen Gedanken bereits etwas genauer erläutert. Alle Formen der Planwirtschaft haben gemeinsam, dass sie im Gegensatz zum Liberalismus und Individualismus die Gesellschaft als Ganzes und alle ihre Produktivkräfte im Hinblick auf "ein einziges Ziel organisieren und keine autonomen Sphären anerkennen wollen, in denen die Wünsche der Individuen ausschlaggebend sind. Kurz, sie sind totalitär im wahrsten Sinne diesen Wortes“ (83).

Dagegen wendet Hayek ein, dass die Wohlfahrt eines Volkes wie das Glück eines einzelnen Menschen „von sehr vielen Dingen abhängt, für die unendlich viele Variationsmöglichkeiten bestehen.“ Das Gemeinwohl kann somit nicht angemessen als ein einziges Ziel beschrieben werden, sondern nur „als eine Stufenfolge von Zielen, eine umfassende Wertskala, auf der jedes Bedürfnis jedes Einzelnen seinen Platz erhält“ (ebd.).

Würden wir alle unsere Handlungen nach einem einzigen Plan ausführen wollen, so müsste dies unter der Bedingung geschehen, dass jedem einzelnen unserer Bedürfnisse ein bestimmter Platz in einer bereits feststehenden und natürlich vollständigen Wertordnung zugewiesen wird.

Kurz gesagt, „dies setzt das Vorhandensein eines vollständigen Moralkodex voraus, in dem alle die verschiedenen menschlichen Werte den ihnen gebührenden Platz erhalten“ (ebd.).

In seinem Vortrag argumentiert Hayek dementsprechend, dass nur dann Demokratie überhaupt möglich ist, wenn wir „die Tätigkeit des Staates auf die Fragen und Gebiete beschränken, wo über das, was geschehen soll, unter der Mehrheit der Bevölkerung Übereinstimmung besteht oder durch Diskussion erreicht werden kann.“

Zwar stellt Demokratie für Hayek nicht im selben Maße wie die individuelle Freiheit einen letzten Wert dar, sie ist aber „in der Regel eine Garantie der persönlichen Freiheit, d.h. ein Hindernis für eine tyrannische Anwendung der Staatsgewalt, und deshalb ungeheuer wichtig (…) Ein alter englischer Spruch sagt, dass es besser sei, Köpfe zu zählen als sie einzuschlagen.“

Hayek gefällt das Bild Wilhelm Röpkes, wonach der Unterschied zwischen Marktwirtschaft und Planwirtschaft darin besteht, dass die letzte Instanz im ersten Falle der Gerichtsvollzieher, im zweiten Falle aber der Scharfrichter sei. 

Passenderweise verwendet Hayek im "Weg zur Knechtschaft" das berühmte Zitat Hölderlins, um "die große Illusion" des Sozialismus und seiner Planwirtschaft zu entlarven: "Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte" (Hyperion I,1).

Die wirtschaftspolitischen Konsequenzen dieser Argumente hatten bereits ein knappes halbes Jahr vorher zu Gründung der Mont Pelerin Society geführt. Hier gibt sich Hayek sehr moderat, denn die Alternative zur Planwirtschaft sei nicht „Laissez-faire“, sondern Ordnungspolitik, die positive Maßnahmen der Regierung nötig mache: „Das Problem der `Ordnung der Wirtschaft´ … ist eine der wichtigsten Aufgaben, die sich der menschliche Geist heute stellen kann und von deren Lösung unendlich viel abhängt.“

Diese Worte haben auch mehr als 60 Jahre später nichts von ihrer Wahrhaftigkeit und Aktualität eingebüßt.


Literatur: Friedrich August von Hayek: Der Mensch in der Planwirtschaft, in: Simon Moser (Hg.): Weltbild und Menschenbild. Internationale Hochschulwochen des österreichischen College Alpbach-Tirol, Innsbruck-Wien 1948 (Tyrolia-Verlag) -- Friedrich August Hayek: Der Weg zur Knechtschaft, München 2007 (Olzog) -- Hans Jörg Hennecke: Friedrich August von Hayek. Die Tradition der Freiheit, Düsseldorf 2000 (Verlag Wirtschaft und Finanzen)

Ein unterhaltsame Beitrag zum Thema ist der folgende Video - ein Rap-Duell zwischen Hayek und Keynes ...



Sonntag, 22. April 2012

Martin Luther und der gerechte Preis


US Dollar Sign (Andy Warhol)
Eines der fundamentalen Probleme im Zusammenhang mit dem Thema „Geld und Gerechtigkeit“ ist die Frage nach dem gerechten Preis.

Lange Zeit war die auf Aristoteles zurückgehende Unterscheidung von Tausch- und Verteilungs-gerechtigkeit entscheidend für die Beurteilung des Preises.

Das Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit (iustitia distributiva) orientiert sich an der  Befriedigung der Grundbedürfnisse der Menschen. Demnach sind die Preise ungerecht, wenn aufgrund der Höhe der Preise eine angemessene Versorgung der Bevölkerung mit Grundgütern und die Herstellung und Bewahrung sozial angemessener Lebensverhältnisse nicht gewährleistet werden kann.

„Als ungerecht gilt, wer die Gesetze und die gleichmäßige Verteilung der Güter, die bürgerliche Gleichheit missachtet, also den Unersättlichen (pleonektēs). Somit gilt offenbar als gerecht, wer die Gesetze und die gleichmäßige Verteilung, also die bürgerliche Gleichheit achtet“ (Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1129a31ff).

Nach Aristoteles wird die Verteilungsgerechtigkeit durch die Rechtsordnung der Polis garantiert, die auf der Gleichheit ihrer Bürger vor dem Gesetz beruht. Auf diese Weise wird zugleich die Voraussetzung für eine auf Tauschgerechtigkeit beruhenden Wirtschaftstätigkeit geschaffen.

Geht man von der Tauschgerechtigkeit (iustitia commutativa) aus, dann ist der Preis gerecht, wenn eine Ware zu einem Preis verkauft wird, der den Herstellungs- und Beschaffungskosten entspricht. Andernfalls läge der Tatbestand des Betruges oder Wuchers vor.

Die mittelalterliche Lehre vom iustum pretium, wie man sie etwa bei Thomas von Aquin findet, berechnet den Wert einer Ware genau auf dieser Grundlage der objektiven Kosten von Herstellung und Beschaffung. Thomas bestimmt den Wert eines Gutes zwar über den Marktpreis, dennoch ist es für ihn ungerecht, eine Sache teurer zu verkaufen oder billiger einkaufen als sie wert ist oder beim Kauf Notlagen ausnutzen. Dagegen hält Thomas von Aquin maßvolle Gewinne aus dem Handel für zulässig. So darf der Preis auch die Vergütung für einen entgangenen Nutzen des Verkäufers sein.

Martin Luther
Auch Martin Luthers Gedanken zum gerechten Preis stehen ganz in der Tradition von Aristoteles und Thomas von Aquin. In seiner Schrift „Von Kaufhandlung und Wucher“ (1524), neben den beiden Sermonen gegen den Wucher die dritte Schrift Luthers zu wirtschaftlichen Fragen, geht Luther zwar davon aus, das der Handel hinsichtlich der Befriedigung der täglichen Bedürfnisse „ein nötig Ding“ sei, weist aber darauf hin, dass „manch böser Griff und schädliche Finanze im Brauch sind“ (WA 15, 293,9f).

Luther fordert deshalb, die Preise nach „Recht und Billigkeit“ festzusetzen. Der Gewinn des Händlers solle sich dabei am  Prinzip der „ziemlichen Nahrung“ ausrichten. Dieses Prinzip wurde im 14. Jahrhundert von Heinrich von Langenstein in seinem „Tractatus bipartitus de contractibus emtionis et venditionis“ entwickelt und beschreibt ursprünglich die Vorstellung eines „standesgemäßen Unterhaltes.“ 

Luther dagegen verwendet den Begriff der "ziemlichen Nahrung" nicht im Sinne feudaler Ansprüche, sondern als Kriterium für ein verantwortliche ökonomisches Handelns. Es geht ihm hierbei vor allem um Bedarfsdeckung des Kaufmanns im Sinne einer lebensnotwendigen Versorgung mit Grundgütern, einschließlich Unkostenerstattung und angemessener Entlohnung.

Entscheidend ist jedoch, dass Luther den Begriff des pretium iustum in Beziehung setzt zum Begriff der „Billigkeit“, worunter im Allgemeinen eine Anpassung eines Rechtssatzes an einen konkreten Fall verstanden wird. „Billigkeit“ steht also im Spannungsfeld zwischen zwei Interessen: der Forderung nach Eindeutigkeit des geschriebenen Gesetzes und der unerlässlichen Flexibilität gegenüber unerwarteten, vom Gesetzgeber nicht vorausgesehenen Situationen.  

Weil Luther „Billigkeit“ also im Sinn einer sittlichen Gerechtigkeit und nicht als kodifiziertes Recht versteht, geht es ihm letztlich gar nicht um eine nach rein ökonomischen Kriterien ausgerichtete Preisbildung, ob sie nun durch behördliche Festsetzung oder durch die inneren Kräfte des Marktes bestimmt wird. 

Ein bekannter Kaufmann ...
Luther will vielmehr die ethische Grundentscheidung des Kaufmannes den ökonomischen Regulierungsmechanismen vorgeordnet sehen. Dabei genüge es schon, wenn der Kaufmann mit gutem Gewissen danach trachtet, das rechte Maß, also die „ziemliche Nahrung“ zu treffen. Das Ziel Luthers ist eine optimale Güter- und Einkommensverteilung unter dem Blickwinkel des Allgemeinwohls, aber auch eine für Käufer- und Verkäuferseite akzeptable Preisgestaltung.

An entscheidender Stelle schreibt Luther: „Denn dein Verkaufen soll nicht ein Werk sein, das frei in deiner Macht und deinem Willen ohne jedes Gesetz und Maß steht, als wärest du ein Gott, der niemandem verbunden wäre. Sondern weil dein Verkaufen ein Werk ist, das du gegen deinen Nächsten übst, soll es mit solchem Gesetz und Gewissen verfasst sein, dass du es übst ohne Schaden und Nachteil deines Nächsten“ (295,22ff).

Eine nach Luther richtige Einstellung des Kaufmanns zu seinem Gewerbe ist demnach erst dann gegeben, wenn dieser vor allen anderen normativen Erwägungen die eigentliche ethische Grundentscheidung zugunsten des Nächsten getroffen hat. Auch wenn der Kaufmann nicht durch staatliche oder kirchliche Obrigkeit durch Gesetz in der Ausübung seiner Wirtschaftstätigkeit gebunden wird, so findet er dennoch in der freien Unterstellung der Person unter das Evangelium eine bindende Norm. 

Literatur: Martin Luther: Werke, Kritische Gesamtausgabe, 6 Bd., Weimar 1888 (sprachlich von mir bereinigt)  --  Aristoteles: Die Nikomachische Ethik, München 1991 (dtv)  --  Christian Hecker: Lohn- und Preisgerechtigkeit. Historische Rückblicke und aktuelle Perspektiven unter besonderer Berücksichtigung der christlichen Soziallehren, Marburg 2008 (Metropolis)  --  Jan Bernert: Luthers frühe Schriften gegen Zins und Wucher (1519, 1520, 1524). Kirchengeschichtlicher Ort und theologische Argumentation. Wissenschaftliche Hausarbeit für die 1. Theologische Prüfung, Hamburg 1993

Sonntag, 15. April 2012

Isaiah Berlin über John Stuart Mill

Am 2. Dezember 1959 hält Isaiah Berlin im Rahmen der „Robert Waley Cohen Memorial Lecture“ in der Londoner County Hall einen Vortrag mit dem Titel „John Stuart Mill und die Ziele des Lebens.“ In seiner Rede huldigt Berlin Mill als den bedeutendsten Verfechter der bürgerlichen Freiheiten und des modernen Liberalismus.

Isaiah Berlin

Ähnlich wie sein Lehrer Jeremy Bentham wandte sich auch Mill gegen jede Form des Dogmatismus und Obskurantismus, gegen alles, was sich der Vernunft, der Analyse, der empirischen Wissenschaft in den Weg stellte. Auch Mill verkündete, das Glück sei das einzige Ziel menschlichen Daseins, aber bald wich er vom Utilitarismus Benthams ab, denn „den größten Wert maß er nicht der Rationalität oder der Zufriedenheit bei, sondern der Vielfalt, der Beweglichkeit, der Fülle des Lebens – dem unerklärlichen Sprung des individuellen Genies, der Spontaneität und Einzigartigkeit eines Menschen, einer Gruppe, einer Zivilisation“ (261).

Für Mill unterscheidet sich der Mensch von den Tieren in erster Linie nicht durch seine Vernunft, sondern dadurch, dass er wählen und sich entscheiden kann und dass er erst dann ganz er selbst ist, wenn er sich entscheidet und nicht den Entscheidungen anderer unterliegt. So sucht und bestimmt jeder Mensch seine Ziele und nicht nur die Mittel, - Ziele, die jeder Mensch auf seine Weise verfolgt, und dies bedeutet: Je vielfältiger diese Weisen, desto reicher das Leben.

Mill vertritt einen Individualismus, der auf Unabhängigkeit und der abweichenden Meinung beruht, der durch jene einsamen Denker verkörpert wird, die dem Establishment trotzen.

Nicht nur in der Erziehung, auch sonst verabscheute Mill jede Standardisierung. So kann er beobachten, dass selbst im Namen von Philanthropie, Demokratie und Gleichheit die Ziele der Menschen künstlich beschränkt und geschmälert werden, dass die Mehrheit der Menschen in eine Herde von „fleißigen Schafen“ verwandelt wurde, dass das „kollektive Mittelmaß“ alle Originalität und individuelle Begabung nach und nach erstickt.

John Stuart Mill
So erkennt Mill schließlich in der individuellen Freiheit die entscheidende Grundlage jeder gesellschaftlichen Ordnung. Er glaubt an die Freiheit, „weil er überzeugt ist, dass Menschen sich nicht entwickeln, dass sie nicht gedeihen und zu wirklichen Menschen werden können, wenn man ihnen nicht einen Freiraum garantiert, in dem sie von der Einmischung anderer unbehelligt bleiben, einen Raum, den er für unverletzlich hält oder dazu machen will“ (276f). 

Freiheit wird so zu einem Zustand, „in dem die Menschen nicht daran gehindert werden, den Gegenstand ihrer Verehrung und die Art, wie sie ihn verehren, selbst zu wählen“ (293). Erst wenn dieser Zustand erreicht sei, dürfe sich eine Gesellschaft als wirklich frei bezeichnen.

Entsprechend dem Worte Kants „Aus so krummen Holz, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nicht ganz Gerades gezimmert werden“ sah auch Mill, dass es Unterschiede zwischen den Menschen gab, dass sie die Fähigkeit haben, zu wählen und sich zu entscheiden – für das Gute ebenso wie für das Schlechte. So gehören Fehlbarkeit und das Recht auf Irrtum ebenso zur Freiheit wie Dogmatismus und endgültige Wahrheiten ihre Feinde sind.

So war Mill in ständiger Sorge, „Vielfalt zu erhalten, dem Wandel die Türen offenzuhalten, den Gefahren des gesellschaftlichen Drucks zu widerstehen“ (280).

In seinem berühmten Traktat „Über die Freiheit“ (1859) fasst Mill seine Freiheitsidee mit folgenden Worten zusammen: „Die Menschen gewinnen mehr dadurch, dass sie einander gestatten, so zu leben, wie es ihnen richtig erscheint, als wenn sie jeden zwingen, nach dem Belieben der übrigen zu leben“ – eine Binsenweisheit zwar, aber eine, die bis heute immer wieder neu gegen Konformismus und Intoleranz erkämpft werden muss.

Zitate aus: Isaiah Berlin: Freiheit. Vier Versuche, Frankfurt am Main 2006 (fischer)

Weitere Literatur: John Stuart Mill, Über die Freiheit, Köln 2009 (Anaconda)

Sonntag, 8. April 2012

Konfuzius und das "Hier und Jetzt"


Über Kung Fu tse, den großen Lehrer der chinesischen Philosophie, ist nicht allzu viel Sicheres bekannt. Zunächst leitete er eine Schule für Krieger, in der er seinen Schülern nicht nur Kampftechniken, sondern auch das Schreiben und das Rechnen, die alten Riten und Gesetze sowie den Tanz und die Musik vermittelte.

Konfuzius (551 - 479 v. Chr.)

Wie andere Gelehrte seiner Zeit auch, soll er von Hof zu Hof gezogen und im Dienst verschiedener Fürsten als Ratgeber tätig gewesen sein. Seine Auffassungen fanden jedoch wenig Unterstützung. Erst Meng tse (Menzius, 372 – 289 v. Chr.) schaffte die Grundlagen dafür, dass der Konfuzianismus zur offiziellen chinesischen Staatsphilosophie wurde – und es bis zum Ende des Kaiserreiches im Jahre 1911 auch bleiben konnte.

Ausgangspunkt seiner Philosophie ist ein erkenntnistheoretischer Pragmatismus, der sich dadurch ausdrückt, dass Konfuzius explizit jede Beschäftigung mit metaphysischen Fragen ablehnt. Schließlich reiche das Erkenntnisvermögen des Menschen kaum aus, um schon Alltagsfragen adäquat lösen zu können. Ihm geht es um das „Hier und Jetzt“, um das, was der Mensch in dieser Welt tun kann und tun soll:

„Dsi Gung fragte den Meister: „Haben die Toten Bewusstsein oder haben sie kein Bewusstsein?“ Der Meister sprach: „Dein Wunsch zu wissen, ob die Toten Bewusstsein haben oder nicht, ist zunächst keine dringende Sache. Später wirst du es von selber wissen“ (44).

Konfuzius legt vielmehr großen Wert auf das kritische Denken und selbstgesteuerte Lernen: „Lernen und nicht denken, ist nichtig. Denken und nicht lernen ist ermüdend“ (45). So kann man in seinem Buch "Gespräche mit Schülern (Lun Yü)" eine gewisse undogmatische Offenheit auch gegenüber seinen eigenen Auffassungen  beobachten, wenn er beispielsweise sagt: „Mein Schüler Hui hilft mir nicht. Mit allem, was ich sage, ist er einverstanden!“ (113).

Offenheit, Diskussions- und Lernbereitschaft, verbunden mit einer vornehmen Zurückhaltung gegenüber dem, was der Mensch niemals wird beantworten können, und dies alles zum Ausdruck gebracht durch einfach verständliche elementare Weisheiten machen Konfuzius zu einem großen Philosophen.

Ein Schüler fragte: „Darf ich wagen, nach dem Wesen des Todes zu fragen?“ Der Meister sprach: „Wenn man noch nicht das Leben kennt, wie sollte man den Tod kennen!“ (115)

Lun Yü (Gespräche)
In seinen Gesprächen mit den Schülern lehrt Konfuzius die Weisheit des Lebens und die Ehrlichkeit der Rede. Nach der „Goldenen Regel“ sollen sich die Menschen nichts antun und einander das geben, was sie selbst gern möchten. Nur so würden sie glücklich werden.

„Sein Schüler Dsi Gung fragte: „Gibt es ein Wort, nach dem man das ganze Leben hindurch handeln kann?“ Der Meister sprach: „Die Nächstenliebe. Was du selbst nicht wünscht, tu nicht anderen an“ (159).

Konfuzius fordert von den Menschen Selbstdisziplin, Mäßigkeit und Vorsicht. Wenn sie ruhig und besonnen leben, dann fänden sie ihr inneres Gleichgewicht. Wenn die Menschen im Gleichgewicht leben, dann bleiben nach Konfuzius auch die Natur und der Kosmos im Gleichgewicht.

Der vollkommene Weise lebt aus seiner Mitte heraus. Konfuzius fordert von ihm, dass er nach Einfachheit und Redlichkeit strebt, dass er in allem das rechte Maß erkennt. Er soll an das Gute im Menschen glauben und das Gute tun, wo immer er kann. Konfuzius will keine Mystiker, sondern er bildet Menschen aus, die die Welt durch praktisches Tun verändern.

Grundlage dafür sind die Regeln und Gesetze des Zusammenlebens, in der konfuzianischen Philosophie gehören dazu: die Sittlichkeit, die Menschlichkeit, die Rechtschaffenheit, die Frömmigkeit und die Loyalität zum Herrscher. Dieser soll den Menschen vor allem ein moralisches Vorbild sein.

Von den Bürgern verlangt Konfuzius, dass sie den Gesetzen folgen. Alle müssen ihre Pflichten für die Gemeinschaft erfüllen. Nicht eine göttliche Gnade bessert die Menschen, jeder muss sich selbst anstrengen.

Wenn diese Ziele beachtet werden, dann kann geht es dem Einzelnen und dem Staat gut – und der Friede ist möglich. So wird der Mensch erst durch Anstrengung zu dem, was er sein soll:

„Der Meister sprach: Wer sich selbst regiert, was sollte der für Schwierigkeiten haben, eine Regierung auszuüben? Wer sich selbst nicht regieren kann, was geht den das Regieren von anderen an?“ (134)

Zitate aus: Kungfutse: Gespräche. Lun Yü, übersetzt und erläutert von Richard Wilhelm, München 1994 (Diederichs)

Sonntag, 1. April 2012

Sokrates und die Gesetze

Im Jahre 399 v.Chr. wurde Sokrates zum Tode durch den Schierlingsbecher verurteilt. Die Anklage hatte ihm vorgeworfen, die Jugend zu verderben und den Göttern zu lästern. Bevor das Urteil vollstreckt wurde, besuchten viele seiner Freunde Sokrates im Gefängnis, unter ihnen auch Kriton. Dieser hatte bereits alle notwendigen Vorkehrungen für eine Flucht getroffen, die Gefängniswärter bestochen und versucht nun Sokrates zu überzeugen, aus dem Gefängnis zu fliehen.

Johann Gottfried Schadow - Sokrates im Kerker (um 1800)

Im Verlauf des Gespräches, das Platon in seinem Dialog „Kriton“ aufgezeichnet hat, trägt Kriton vier Gründe für eine Flucht vor:

  • Man würde in der Öffentlichkeit schlecht über die Freunde von Sokrates sprechen, wenn sie nicht versuchen würden, ihn zu retten.
  • Sokrates würde, wenn er sich dem Tod nicht durch Flucht entzöge, der Anklage und ihren ungerechten Vorwürfen Recht geben.
  • Sokrates verletze seine Fürsorgepflicht gegenüber seiner Familie, insbesondere gegenüber seinen Kindern.
  • Sokrates würde sich der Lächerlichkeit preisgeben, wenn er die Möglichkeit zur Flucht nicht wahrnähme, obwohl bereits alles arrangiert ist.

Zur allgemeinen Überraschung seiner Freunde weist Sokrates jedoch alle Argumente zurück und führt nun seinerseits die Gründe an, weshalb er im Gefängnis bleiben und auf den Tod warten möchte:

  • Eine Flucht käme für ihn einer Gesetzesverletzung gleich, denn schließlich ist jedes, so auch dieses Gerichtsurteil eine legale Rechtssache.
  • Er habe einen Vertrag mit der Stadt Athen und ihren Gesetzen geschlossen und sich verpflichtet, sie bedingungslos anzuerkennen, zu achten und zu schützen.
  • Es habe ihm frei gestanden, bereits zu einem früheren Zeitpunkt ins Exil zu gehen, ein Umstand, den er nicht wahrgenommen habe.
  • Eine Flucht würde negative Folgen haben, nicht nur für seine Familie und seine Freunde, sondern auch für Sokrates selbst, da er in der Fremde als Gesetzesverderber verachtet würde.
  • Eine Flucht würde bedeuten, dass seine Kinder der Heimat beraubt werden.
  • Eine Flucht würde sein ganzes bisheriges Leben, Denken und Lehren lächerlich erscheinen lassen oder machen.

Der Dialog „Kriton“ handelt vom Sinn und Zweck der Befolgung von Gesetzen. Rechtsphilosophisch bedeutsam ist der Hinweis, dass Sokrates nichts unternommen hat, die bestehenden Gesetze zu ändern, er hat sie akzeptiert und akzeptiert sie auch noch im Angesicht des Todes: „Wer nicht gehorcht, der tut Unrecht“, stellt Sokrates schlicht fest. Tatsächlich sieht er das Unrecht nicht in den Gesetzen begründet, sondern in den Menschen, die die Gesetze falsch anwenden, weil sie ihren Sinn und Geist nicht verstanden haben.

Sokrates bekräftigt mit seiner Haltung letztlich auch das antike Verständnis von Dike als der unumschränkten Herrschaft des Rechts. Mit dem Gesetz  gibt sich der Mensch eine strenge Fessel, der sich im Sinne der Isonomie alle unterwerfen müssen. So drückt sich der Staat „objektiv im Gesetz aus, das Gesetz wird König.“ (Jaeger, 152)

Klar ist, dass es Sokrates nicht um das Verhältnis zu seinen vollkommen unbedeutenden Anklägern geht, sondern um sein Verhältnis zu Recht und Gesetz. Sie zu verletzen ist für Sokrates schlimmer als zu sterben, weil er damit das gute und schöne Leben preisgäbe und letztlich seiner gesamten Lebensauffassung widerspräche.

Sokrates Grundanliegen war stets die Sorge um die menschliche Seele. Dies führt er Kriton und den anderen Freunden in diesem Musterbeispiel ethischer Argumentation nochmals vor Augen. Bei existentiellen Fragen ist es nötig, einen kritischen und prüfenden Diskurs zu führen, um herauszubekommen, welches „der beste Satz“, also das vernünftigste Argument in der betreffenden Angelegenheit ist. 

Sokrates (Louvre, Paris)
Das ist das sokratische Verständnis von Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung. Den „besten Satz“ ermittelt man ohne äußeren Druck, in gemeinschaftlichem Gespräch – dem sokratischen Dialog – und in gegenseitigem Austausch der Argumente einschließlich ihrer kritischen Prüfung.

Sokrates weist auf die Gefahr hin, dass man seine Meinung schnell ändert, wenn sich im Leben Widrigkeiten präsentieren, die die vorher akzeptierte Theorie gefährden. Wenn aber „der beste Satz“ gilt, weil er als richtig anerkannt wurde, dann gilt er unabhängig von allen Umständen in jeder Situation.

Das wahrhaft gute Leben ist eben nur möglich, wenn man grundsätzlich die Schädlichkeit und Schändlichkeit des unrechten Handelns erkannt hat und bereit ist, nach der eigenen als richtig erkannten Maxime zu handeln – auch wenn man diese Konsequenz mit dem eigenem Leben bezahlt.

In diesem Bewusstsein hatte Sokrates bereits am Ende seines Prozesses, unmittelbar nach der Verkündigung des Urteil selbstbewusst bemerkt: "Nun aber ist es Zeit fortzugehen, für mich um zu sterben, für euch um zu leben: Wer aber von uns dem besseren Los entgegengeht, das ist allen verborgen, außer Gott" (Platon: Apologie des Sokrates).

Zitate aus: Platon: Apologie des Sokrates - Kriton, beide in: Ges. Werke, Bd.1, Übers. Von F. Schleiermacher, Hamburg 1957 (Rowohlt

Weitere Literatur: Werner Jaeger: Paideia. Die Formung des griechischen Menschen, Berlin 1989 (de Gruyter) --- Christian Meier: Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt am Main 1980 (Suhrkamp)